Unbeachtlichkeit der Geschäftsführung ohne Eintrag ins Handelsregister

LSG Baden-Württemberg: Unbeachtlichkeit der Geschäftsführung ohne Eintrag ins Handelsregister

SGB IV §§ 7 I28p I; GmbHG §§ 6 III 2, 39; HGB § 15 I

  1. Allein die Beschlussfassung zur Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH führt ohne Eintragung in das Handelsregister statusrechtlich nicht dazu, dass dies bei der Beurteilung des Bestehens einer durch die Geschäftsführerbestellung herrührenden Rechtsmacht zu berücksichtigen ist.
  2. Sozialversicherungsrechtlich entfaltet ein solcher Gesellschafterbeschluss keine Relevanz, weil er außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffen wurde und ihm ohne notarielle Beurkundung und Eintragung in das Handelsregister die insoweit erforderliche Publizität fehlt.
  3. Der Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister ist für die statusrechtliche Beurteilung der maßgebliche Zeitpunkt. Ab diesem Zeitpunkt manifestiert sich der Wille der Gesellschafter zur Bestellung eines (neuen) Geschäftsführers in rechtlich anzuerkennender Weise. (Leitsätze des Gerichts)

LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2020 – 4 BA 825/20 ER-B, BeckRS 2020, 15747

Sachverhalt

Per Eilantrag wendete sich die Antragstellerin an das SG Karlsruhe mit dem Ziel der Anordnung aufschiebender Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Beitragsnachforderungsbescheid.

Die klagende GmbH meinte, keiner Beitragspflicht für den bei ihr tätigen Gesellschafter, der per Beschluss wirksam als Geschäftsführer bestellt war, zu unterliegen. Dieser sei selbstständig. Als Geschäftsführer unterliege er keiner Weisung.

Entscheidung

Der Senat hebt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf. Mangels Eintragung im Handelsregister ist die Bestellung als Geschäftsführer statusrechtlich irrelevant. Die Abgrenzung erfolgt insoweit ausschließlich nach der Gestaltungsmacht als Gesellschafter. Das LSG beruft sich dabei auf die Eintragungspflichtigkeit nach § 39 Abs. 1 GmbHG i.V.m. dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (BSG, BeckRS 2018, 5024). Andernfalls wäre die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von der Entscheidung der Gesellschafter abhängig, ob sie nicht beurkundete und nicht eingetragene Vereinbarungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags in Verkehr bringen oder nicht (LSG Schleswig-Holstein, BeckRS 2017, 120455). Ferner verweist der Senat auf das Erfordernis der Sicherheit im Rechtsverkehr, das auch in der Fiktionsregelung nach § 15 HGB ihren Ausdruck findet.

Praxishinweis

  1. Klagen gegen Beitragsnachforderungen der DRV im Rahmen von Betriebsprüfungen haben keine aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
  2. Gem. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG analog sind Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, wenn also ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Es müssen erhebliche Gründe für ein Obsiegen von sprechen.
  3. Der Senat knüpft an die ständige Rechtsprechung zur Gesellschafterselbstständigkeit im Unternehmen an. Hiernach ist selbstständig, wer auf die Geschicke des Unternehmens kraft seiner gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsmacht wesentlichen Einfluss nehmen kann. Dies ist der Fall, wenn unliebsame Gesellschafterbeschlüsse verhindert oder behoben werden können. Dies wiederum setzt eine alleinige Durchsetzungsmacht per Stimmabgabe, entweder aufgrund des Umfangs gehaltener Gesellschaftsanteile oder aufgrund Einräumung einer Sperrminorität voraus.
  4. Der Senat bestätigt seine vorangehende Entscheidung vom 15.04.2019 (L 5 BA 611/19 ER-B, n.v.) zur Maßgeblichkeit der Handelsregistereintragung. Er untermauert mit seiner Entscheidung eine materiellrechtliche Konstitutivität von Handelsregistereintragungen, die es eigentlich nicht gibt. Anders als Dritte i.S.d. § 15 HGB ist die Sozialverwaltung nicht schutzwürdig. Sie kann im Rahmen ihrer Betriebsprüfung ungehindert auf alle notwendigen Unterlagen zugreifen, die sie ohnehin zur Ermittlung der tatsächlich gelebten Rechtsverhältnisse im Unternehmen einsehen muss. Warum ausgerechnet die Sozialverwaltung hier materiellrechtliche Wirkungen aus dem Schweigen des Handelsregisters ableiten können soll, ist fraglich und lässt sich jedenfalls nicht auf den Schutzzweck von § 15 HGB stützen.

Die Entscheidung des BSG vom 29.07.2015 (BeckRS 2015, 73497), in welchem die rechtsbekundende Wirkung vorhandener Einträge im Handelsregister mit dem Manifestationsargument festgeschrieben und die „Kopf und Seele – Rechtsprechung“ entsprechend aufgegeben wird, tritt diesbzgl. im Prinzip schon in Widerspruch zu handelsrechtlichen Grundsätzen, die auch gegenüber der Sozialverwaltung gelten. Selbst wenn man dies in Hinblick auf das Bedürfnis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Tatbestände befürworten mag, so wird die Intention des BSG hier jedenfalls in nicht mehr nachvollziehbarer Weise auf das Schweigen des Handelsregisters erstreckt.

Die Abkehr von der „Kopf und Seele – Rechtsprechung“ erfolgte vor allem aufgrund von Konstellationen, in denen das faktisch gelebte Rechtsverhältnis auch von den gesellschaftsrechtlich beschlossenen bzw. satzungsrechtlich abgefassten Verhältnissen abwich. Das Problem der Vorhersehbarkeit entsteht folglich, wenn die faktische Tätigkeit letztlich kaum mehr mit niedergeschriebenen Erkenntnisquellen (Satzungen, Gesellschaftsverträge, Gesellschafterbeschlüsse und HReg) in Übereinstimmung zu bringen ist. Diese Problemlage unterscheidet sich durchaus von der hiesigen, in der die gesellschaftsrechtliche Situation klar, auch dokumentiert und damit „sicher“ ermittelbar ist.