LSG Sachsen-Anhalt zur Befreiung der Versicherungspflicht

Keine Befreiung von der Versicherungspflicht bei Beginn einer arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit ab dem 58. Lebensjahr bei Fehlen einer auskömmlichen Altersvorsorge aus einer vorherigen versicherungsfreien Selbständigkeit SGB VI S. 1 Nr.9, 6 Ia 1 Nr. 2, IV

  1. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger bei Tätigkeitsbeginn ab dem 58. Lebensjahr nach einer zuvor ausgeübten versicherungsfreien Selbständigkeit setzt voraus, dass diese nach Umfang und Dauer geeignet war, eine auskömmliche Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zu schaffen.
  2. Bei Aufnahme einer nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtigen Tätigkeit im Anschluss an eine versicherungsfreie Selbständigkeit besteht kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen Versäumung der dreimonatigen Antragsfrist für die Befreiung von der Versicherungspflicht ab Beginn der Tätigkeit, wenn der Versicherungsträger den Versicherten darauf hingewiesen hat, dass er mitteilen muss, wenn er zukünftig auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig wird. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.12.2020 – L 3 R 365/19, BeckRS 2020, 43867

Anmerkung von Manfred Stolz

Sachverhalt

Der im März 1953 geborene Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Rentenversicherungsbeiträgen als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger nach § 2 Satz 1 Nr.9 SGB VI für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2014 und vom 01.01.2016 bis 21.02.2017. In diesen Zeiträumen war er im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig und erzielte hieraus jeweils mehr als 5/6 seiner Einnahmen.

Am 18.10.2010 hatte er nach vorangegangenen Tätigkeiten sowohl als Selbständiger wie als versicherungspflichtig Beschäftigter eine Tätigkeit als selbständiger Ingenieur für drei Auftraggeber aufgenommen. Die beklagte Rentenversicherung hatte deshalb mit Bescheid vom 12.12.2013 festgestellt, dass hierfür keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr.9 SGB VI bestehe.

Am 22.02.2017 beantragte er seine Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.01.2014 gem. § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI, weil er nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals ab dem 58. Lebensjahr nach § 2 Satz 1 Nr.9 SGB VI versicherungspflichtig geworden sei.

Diesem Antrag gab der Rentenversicherungsträger nur ab dem 22.02.2017 statt und lehnte ihn für die Zeit ab 01.01.2014 bis 31.12.2014 und ab 01.01.2016 wegen Versäumung der dreimonatigen Antragsfrist (§ 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI) ab; für 2015 bestand wegen Tätigkeit für mehr als einen Auftraggeber keine Versicherungspflicht. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung zurück und lässt die Revision nicht zu. Der Kläger war wegen Versäumung der am 31.03.2014 bzw. 31.03.2016 abgelaufenen dreimonatigen Antragsfrist für die streitigen Zeiträume vom 01.01.2014 bis 31.12.2014 und 01.01.2016 bis 21.02.2017 nicht rückwirkend von der Versicherungspflicht zu befreien.

Er ist nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als hätte er den Antrag jeweils rechtzeitig gestellt. Die Fristversäumung beruhte nicht auf einem unterlassenen Hinweis des Versicherungsträgers. Die Beklagte hatte den Kläger im Bescheid vom 12. Dezember 2013 mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit ab dem 18.10.2010 auf seine Pflicht zur Mitteilung hingewiesen, sobald er im Wesentlichen und auf Dauer nur für einen Auftraggeber tätig werde. Für den Kläger war auch aufgrund des mit seinem Auftraggeber ab 01.01.2014 abgeschlossenen Vertrages ersichtlich, dass er auf dieser Grundlage länger als ein Jahr und mit mehr als 5/6 seiner Einkünfte, also auf Dauer und im Wesentlichen nur für den jetzigen Auftraggeber tätig werden würde.

Unabhängig hiervon scheitert eine Befreiung schon daran, dass die vorangegangene selbständige nicht versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers ab 18.10.2010 nach Art und Umfang nicht geeignet war, eine auskömmlichen Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben. Der Kläger hat diese Tätigkeit für drei Auftraggeber am 18.10.2010 und damit erst fünf Monate vor Vollendung des 58. Lebensjahres begonnen und für etwas mehr als drei Jahre ausgeübt. Anschließend ab 01.01.2014 war er nur noch auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig. Er hatte bis zum 18.10.2010 Kranken- und Arbeitslosengeld bezogen, nachdem er zuvor zehn Jahre beitragspflichtig beschäftigt gewesen war. Bei der Anmeldung seiner selbständigen Tätigkeit am 18.10.2010 war ihm noch kein Auftrag erteilt und kein oberhalb der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liegendes Honorar erzielt worden.

Das Erfordernis der Einzelfallprüfung ergibt sich, so das LSG, daraus, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger nach § 6 Abs. 1a Nr. 2 SGB VI wegen Aufnahme einer Tätigkeit ab dem 58. Lebensjahr nur erfolgen kann, so das BSG im Urteil vom 30.10.2013 (BeckRS 2014, 65009), wenn zu der vorherigen nicht versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit keine wesentliche Unterbrechung bestätigt. Bei typisierender Betrachtung ist dieser Personenkreis weniger schutzbedürftig, weil eine vorangegangene nicht versicherungspflichtige selbständige Tätigkeit regelmäßig geeignet ist, eine auskömmliche Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen. Dies setzt– so das BSG – voraus, dass die nicht versicherungspflichtige Tätigkeit der arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit unmittelbar vorangeht und nicht bereits vor längerer Zeit aufgegeben wurde. Nur dann besteht für diesen Personenkreis typischerweise ein geringeres Schutzbedürfnis für eine Altersvorsorge innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, der es rechtfertige, auf den Nachweis einer auskömmlichen Vorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelnen zu verzichten.

Praxishinweis

Während das BSG die Befreiung an die zeitliche Nähe der beiden Tätigkeiten knüpft und sich insoweit immerhin auf den Gesetzeswortlaut („zuvor“) und die Gesetzesmaterialien stützt (kritisch hierzu Berchthold, in: KKW-Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, § 6 SGB VI Rz. 16), nimmt das LSG eine der „typisierenden Betrachtung“ des Gesetzes fremde Einzelfallprüfung dahin vor, ob die vorangegangene versicherungsfreie selbstständige Tätigkeit eine auskömmliche Altersvorsorge geschaffen hat und erhöht damit die Anforderungen an die Befreiung.

Nach Auffassung des LSG war damit sogar die vom Versicherungsträger ab 22.02.2017 erklärte Befreiung von der Versicherungspflicht, die nicht Prozessgegenstand war, zu Unrecht erfolgt.

Da das LSG bereits wegen Fristversäumung Befreiung für die im Prozess streitigen Zeiträume bis 21.02.2017 versagt, weil ursächlich hierfür allein das Meldeversäumnis des Klägers und nicht eine Pflichtverletzung des Versicherungsträgers war, kam es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die vom LSG vorgenommene „Einzelfallprüfung“ nicht an.

Eine derartige Einzelfallprüfung für die Befreiung von der Versicherungspflicht ist weder im Gesetz vorgesehen noch entspricht sie der Verwaltungspraxis oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung.